Kurzfassung für Schnellleser: Nein, ich bin nicht seekrank geworden (es gab auch keinen Grund dazu) und ja: ich kann ein Schiffreise sehr empfehlen (siehe dazu die das Fazit am Schluss und den nächsten Beitrag).
1. Tag: Mittwoch 1. September 2010
Nach einer wilden, halsbrecherischen Fahrt mit dem Agenten zum Schiff im neuen Hafen von Busan weit ausserhalb der Stadt, bin ich um 11:30 an Bord gegangen und wurde freundlich vom 1. Offizier Herrn Gillrath empfangen und in die Kammer eingewiesen – Kammer ist gut: viel Holz-(Imitation) – grosszügig mit Doppelbett, Sofa, TV, Radio, Wasserkocher, Kühlschrank usw., natürlich mit eigener Dusche und WC. Gerade eben in die Gewohnheiten auf dem Schiff eingewiesen, ruft mich der Steward zum Mittagessen in die Offiziersmesse. Ich sitze an einem eigenen Tisch – die Offiziere kommen und gehen – und was gibt es serviert vom philippinischen Steward? Schnitzel, Pommes Frites mit Erbsli.
Gegen Abend wird es grau – der angekündigte Taifun, der unseren Kurs nicht direkt berühren wird. Die Krane arbeiten, seit ich angekommen bin, ununterbrochen. Es sind vier Riesenungetüme, die einen Container nach dem andern auf dem Schiff platzieren, je nach Containergrösse sechs bis sieben Stockwerke hoch. Der Einstieg zum Schiff erfolgt über die „Jakobsleiter“ (ich hoffe, man sagt dem so) auf das sogenannte Upper Deck, eine Höhendifferenz zum Kai sicher von 20m, von dort eine Treppe hoch auf’s A-Deck und von dort mit einem Lift, der nur zu benützen ist, wenn das Schiff nicht brennt und wenn es weniger als 10° krängt, d.h. bei starkem Seegang nicht, bis ins G-Deck. Dort wohnen der Kapitän und die Offizieren. Die Passagierkabinen sind auf dem F-Deck.
Meine Kammer hat Ausblick gegen hinten und Backbord (ha, hättet Ihr auch den Hornblower gelesen!), gegen hinten aber nur noch, wenn die nicht noch eine Ladung Container oben drauf packen. Auslauf habe ich hier im Hafen keinen und auch sonst dürfte er beschränkt sein. Der erste Offizier, „Chief Mate“, hat mich in die Sicherheitsbestimmungen eingewiesen und mir alle für relevanten Orte gezeigt, aber auch die Brücke, die ein Stockwerk über dem Offiziersdeck G liegt. Eingerichtet, genügend Platz, genügend zum Lesen, etwas zum Trinken: von mir aus kann’s losgehen, der Taifun ist ja angesagt.
2. Tag: Donnerstag 2. September 2010
Wir legten erst kurz vor Mitternacht ab. Ich war bereits im Bett und habe hin und wieder mangels tiefen Schlafs die Bewegungen des Schiffes gespürt. 4seohunt.com/www/www.a-bis-zet.ch Schon gegen 4 Uhr wird es hell – wir fahren ja der Zeit entgegen und der nächste Zeitwechsel ist erst in der Nacht vom Donnerstag auf den Freitag angesagt; das ist auf dem Schiff so festgelegt – und ungefähr um 6 Uhr geht die Sonne auf. Wir sind im koreanischen Westmeer bzw. in der Japan-See mit Kurs auf die Passage zwischen Honshu und Hokkaido, die wir morgen früh passieren werden. Das hat mir der Kapitän, Herr Kruse, gesagt, den ich beim Morgenessen getroffen habe. Von mir aus gesehen ist die See nicht allzu rau, kleine Schaumkronen – und da ich Wikipedia nicht aufrufen kann, kann ich dieser Beobachtung keine Windstärke zuordnen – der Horizont ist klar und es hat eine leichte Bewölkung.
Und, wie ist ein Tag auf See? Den ganzen Tag Sonne, Wasser ringsherum und ein bisschen Wolken und am Abend den ersten Sonnenuntergang. Man muss sich beschäftigen können. Man muss aber nicht müssen. Und das ist das gute daran.
3. Tag: Freitag 3. September 2010
Zeitzonenwechsel: Ein Stunde weiter! Gestern war es um 7 Uhr schon dunkel. Heute Morgen passieren wir die Meerenge zwischen Hokkaido und Honshu, die ich vor zwei Jahren, fast am gleichen Tag, durch den Seikan-Tunnel unterfahren und ein paar Tage später mit der Fähre von Hakodate nach Aomori überquert habe. Ich bin vor dem Frühstück auf der Brücke, einem wahren Hightech-Eldorado. Der 1.Offizier hat Dienst und nimmt sich Zeit – die er hat – um mir meine Fragen zu beantworten und vieles mehr. Er hat mir auch die Route, die wir steuern werden, schön ausgedruckt. Man sieht Backbord etwas im Nebel Hokkaido, und Steuerbord Honshu mit dem Kap, unter dem der Eisenbahntunnel verläuft. Das Schiff macht hier bis 27 Knoten – das sind rund 50 km/h weil es hier eine Strömung in unserer Fahrrichtung gibt, die sich hier wie durch einen Düseneffekt zwischen den beiden Inseln beschleunigt. So gegen Mittag werden wir an der zweiten nach Süden gerichteten Spitze Hokkaidos vorbeifahren und dann den Kurs auf dem „Grosskreis“, als der kürzesten Verbindung auf der Erdkugel zwischen Hokkaido und Long Beach fahren, der uns bis ca. 60 Seemeilen (etwas über 100 Kilometer) an die südlichsten Aleüten-Inseln bringen wird.
Kurs der HANJIN BOSTON von Busan nach Long Beach
Das Wetter wird immer trüber und nebliger und das Schiff bewegt sich in drei Richtungen, obwohl kein hoher Wellengang zu beobachten ist. Ich habe die ganze Zeit am Computer gesessen und plötzlich habe ich ein komisches Gefühl im Zwerchfell, das ich aber nach dem Mittagessen und ohne Computer wieder loswerde. War wohl das Hackfleisch mit Zwiebel zum Frühstück. Heute findet wegen Regen und starkem Wind kein Sonnenuntergang statt.
4. Tag: Samstag 4. September 2010
Im Laufe der Nacht hat sich die See wieder beruhigt und am Morgen ist ausser der leichten Dünung keine Bewegung mehr. Wegen Nebel findet auch kein Sonnenaufgang statt und es ist deutlich kühler, Gelegenheit für einen Morgenspaziergang zum Bug. Dort sind die eindrücklich grossen Ankerketten zu sehen. Was aber viel mehr auffällt: wenn man sich nicht über das Schanzkleid beugt, ist es dort absolut ruhig. Das Schiff gleitet wie in dicke Watte gepackt über das Meer. 300 m hin, auf der anderen Seite 300 m zurück und nochmals dasselbe, macht zusammen 1200m Spaziergang. Man kann es auch mehrmals wiederholen, aber man muss nicht!
Beim Aufenthalt am Bug habe ich Vögel gesehen, die dicht über dem Wasser fliegen, so von der Grösse einer Möve, aber nicht mit deren Bewegungen, und dies obwohl wir ziemlich weit von einer Küste entfernt sind. Die nächste wäre einer der Kurilen-Inseln oder die Südspitze von Kamtschatka.
Am Nachmittag entwickelt sich der Tag zu einem Traumtag, wie bei uns im Herbst: am Morgen neblig und am Nachmittag strahlende Sonne und eine klarer Horizont, wie über einem Nebelmeer. Das verleitet zu weiteren Spaziergängen. Vögel hat es jetzt viele, eine Art Möve, aber mit ganz schmalen und auf der Oberseite schwarzen Flügeln. Einen weiteren Vogel entdecke ich auf dem Schiff: Etwa so gross wie eine Amsel, auch von der Form her, rehbraun, sicher kein Wasservogel. Der ist wahrscheinlich zu spät aufgewacht und emigriert nun nach Amerika.
Am Abend besuche ich die Brücke, um den Sonnenuntergang zu erleben. Der erste Offizier ist sehr gastfreundlich und erklärt vieles, auch über den Alltag des Seeoffiziers, die Ausbildung und vieles mehr. Der Sonnenuntergang ist wirklich sehr schön.
5. Tag: Samstag 4. September 2010 (noch einmal)
Das ist nun der Tag, den ich gewinne. Wir sind zwar noch nicht über die Datumsgrenze hinaus, aber auf dem Schiff ist der Zeitzonen- und Datumswechsel geregelt. Er hat um Mitternacht stattgefunden. Am Morgen ist die See deutlich rauer als am Abend vorher. Zwar hat es noch ein bisschen Sonne, aber das Schiff bewegt sich deutlich spürbar dreidimensional, v.a. um die Längsachse, aber auch um die Querachse. Mal sehen, was daraus wird. Der 1. Offizier hat schon mehr als einmal die Bemerkung gemacht, dass Fliegen über den Atlantik durchaus als Alternative zu betrachten sei. Trotzdem habe ich jetzt die (gegenüber dem ursprünglichen Plan geänderte) Schiffspassage Philadelphia – Rotterdam gebucht.
Das Wetter verbessert sich im Laufe des Tages nicht. Am Nachmittag bemerke ich, dass wir keine Fahrt mehr machen. Ausserdem sind heftige Stösse zu bemerken. Der 1. Offizier sagt mir später, dass eine Reparatur an der Maschine durchgeführt werden musste, das sich dann so auswirkt. Auch heute keinen Sonnenuntergang!
6. Tag: Sonntag 5. September 2010
Ich habe noch gar nichts über die Mannschaft an Bord der MV Hanjin Boston gesagt: Es sind 24 Leute an Bord, davon ein Passagier, das bin ich. Der Kapitän heisst Kruse und stammt mit Ausnahme des Schiffingenieurs, der Pole ist, wie alle Ränge an Bord aus Deutschland. Der bereits mehrfach erwähnte 1. Offizier heisst Gillrath, der 2. Schulz, der Schiffingenieur Zolyniak. Die Decksmannschaft, Koch, der Stewart Mac und die übrige Mannschaft im Maschinenraum sind Filipinos. Die meisten leisten vier Monate auf dem Schiff und sind dann zwei Monate zu Hause. Ihr nächster Einsatz ist dann auf einem anderen Schiff; die Mannschaften wechseln also dauernd.
Das Leben an Bord für den Passagier – also für mich – läuft so ab, dass ich während den festgelegt Mahlzeiten in der Offiziersmesse an einem eigenen Tisch esse und sonst tun und lassen kann, was ich will. Man wird also nicht beschäftigt! Aber man kann fragen und bekommt freundliche kompetente Antworten. Allerdings ist man ins Sicherheitsdispositiv einbezogen: ich wurde am ersten Tag eingewiesen, was zu tun ist, wenn, und musste unterschreiben, dass man das gemacht hat. Man kann sich auf die Brücke begeben, auf Deck spazieren – bei nicht zu garstigem Wetter – und sonst muss man selber für sich sorgen. Es gibt einen Aufenthaltsraum für die Offiziere mit DVD’s usw., den man auch benutzen kann. Man hat aber diese Ausrüstung auch in der Kammer (das ist die Kabine, für diejenigen, die es schon vergessen haben).
Heute hat mir der Schiffsingenieur den Maschinenraum gezeigt, ein sehr beeindruckendes mittelgrosses Kraftwerk mit allem was dazu gehört. Der 12-Zylinder-2-Takt-Dieselmotor von Hyundai MAN-B&W ist ca. 5 Stockwerke hoch, also ca. 12 m, und verfügt über vier Turbolader von „BBC“ (so hat es der Ingenieur gesagt!). Die technischen Angaben muss ich nochmals erfragen. Das Schiff verfügt über eine voll ausgerüstete Werkstatt und Reparaturen (die Ersatzteile, Kolben und Pleuelstangen sind beeindruckend gross), auch am Motor, können jederzeit ausgeführt werden, was auch einleuchtet: mitten auf See geht es ziemlich lange bis allfällige Hilfe kommen kann.
Leistung Dieselmotor 68430 kW oder 93065 PS
Zylinderdurchmesser 9800 mm
Hub 2,4m
Touren bei 21 Knoten* / maximal 88 / 104
Verbrauch bei normaler Fahrt pro 24h 165 t
Verbrauch bei Vollleistung pro 24 h 290t
Ölpreis 450 US$/t
Einsparung durch reduzierte Fahrt pro Tag 56250 US$
* 1 Knoten = 1 Seemeile = 1,853 km
Das sind die Ersatzteile, unten ein Kolben. Rechts im Bild der Chief Engineer Herr Zolyniak
Das ist nicht die ganze Maschine. Das sind nur die Zylinderköpfe mit den Einspritzvorrichtungen.
Ca.12 m tiefer unten ist die Antriebswelle, die direkt an der Kurbelwelle des Dieselmotors angeschlossen ist.
Übrigens: die Kurbelwelle des Dieselmotors ist in der Verlängerung, ohne Übersetzung, die Welle, auf der am Ende die Schiffsschraube sitzt!
Ausserdem: alles Wasser, auch das welches wir trinken und sonst brauchen, wird aus Seewasser genommen und in einem Vakuum (tiefer Siedepunkt) verdampft und dann destilliert.
Es bleibt den ganzen Tag grau und am Nachmittag wird es wackelig. Nach Angaben des 1. Offiziers gab es Wellenhöhen von gegen drei bis vier Meter. Das Schiff rollt v.a. um die Längsachse, was das Einschlafen nicht unbedingt einfacher macht.
Am Abend, exakt um 19:05, überfahren wir die Datumsgrenze, d.h. den 180. Längengrad. Ich habe ihn photographiert: man sieht die Datumsgrenze ganz deutlich!
7. Tag, Montag 6. September 2010
Da das Schiff gegen Morgen ziemlich stark um die Längsachse rollt, wache ich nach ohnehin schlechtem Schlaf – keine Ahnung weshalb, Jetlag, oder besser Shiplag? – und versuche auf der quer zur Schiffachse stehenden Couch noch etwas zu schlafen, mit mässigem Erfolg. Nun, da es draussen grau ist, beschäftigen wir uns halt mit etwas drinnen. So gegen 10:30 überqueren wir den 172. Längengrad West: damit habe ich die halbe Welt umrundet und bin ab sofort an der zweiten Hälfte, sozusagen auf dem Heimweg! Viel Wellengang, gegen Nachmittag so gegen vier bis fünf Meter hoch.
8. Tag, Dienstag 7. September 2010
Es rollt die ganze Nacht – Rollen ist der Fachausdruck für das Schaukeln um die Längsachse, Stampfen wäre um die Querachse und die Kombination wäre dann Gieren – wiederum Schlafschwierigkeiten. Der 1. Offizier meint, dass das die Zeitverschiebung sei; er hat dasselbe Problem. Das Rollen erleichtert das Einschlafen wahrscheinlich dann auch nicht. Ich lege mich so quer wie möglich ins Bett und verpasse deswegen dann fast das Frühstück.
Draussen hat es den ganzen Tag dicker Nebel. Also auch heute kein Sonnenuntergang!
9. Tag, Mittwoch 8. September 2010
Das war nun die dritte Nacht mit wenig Schlaf: ich war bis 04:00 hellwach. Der Zeitunterschied zu Seoul beträgt jetzt sieben Stunden und obwohl dieser sozusagen scheibchenweise „erarbeitet“ wurde, scheint er zu wirken, wie wenn man ihn aufs Mal auf sich nehmen muss. Mal sehen wie der Tag heute läuft.
An der See kann es nicht liegen. Die war die ganze Nacht wie ein Ententeich – so drückt sich der 1. Offizier aus – und es soll so bleiben für den Rest der Reise. Heute Morgen sieht man auch wieder etwas: leicht bewölkt und Sonne.
Ein paar Wochen bevor ich abreiste, hat das Echo der Zeit auf Radio DRS einen Beitrag vom schon lange verstorbenen Klaus Schädelin gebracht, über das Nichtstun. Wenn ich wieder am Netz bin, muss ich diesen Beitrag unbedingt finden und mit einem Link in den Blog hängen. Weil genau das ist es, was es hier so in grossem Masse zu tun gibt: Nichts!
Im Laufe des Tages wird ein Brandalarm gegeben, d.h. ich muss am Anfang mitmachen und das heisst ich muss die Schwimmweste und den Helm aus meiner Kammer anziehen und mich an den richtigen Sammelort begeben. Damit hat es sich für mich schon. Auf dem Rückweg zur Kabine zeigt mir der Stewart eine Gottesanbeterin auf dem Deck. Wo die wohl herkommt? Wir waren heute am weitesten von Land entfernt. Auch heute findet wegen Nebel kein Sonnenuntergang statt.
10. Tag, Donnerstag 8. September 2010
Dieses Problem mit dem Schlafen habe offensichtlich nicht nur ich. Der 2. Offizier, Herr Schulz und auch der Chief Engineer bestätigen das. Obwohl die Verkürzung des Tages wohl täglich, aber nur um eine Stunde erfolgt, wird das nach ein paar Tagen für den Körper zum Problem.
Heute hat es wieder Sonne. Dabei kommt mir in den Sinn, dass ich noch gar nicht viel über das Schiff gesagt habe. Also: Die HANJIN BOSTON ist ein Containerschiff der Superklasse – offenbar werden jetzt allerdings auch noch grössere gebaut – 300 m lang und 42 m breit, wegen letzterem nicht Panamakanal-tauglich. Sie kann 7000 Container transportieren Im Prinzip ist der ganze vordere Laderaum, d.h. ca. ¾ der Schifflänge mit Containern gefüllt; im Teil dahinter bis zum Heck ist die Maschinenanlage. Dazu kommt auf Deck noch eine Ladung bis zu sieben Containern hoch und zwar vor und hinter den Aufbauten. Dabei werden nur die untersten zwei Lagen gesichert. Alles was obenauf ist, ist einfach ohne zusätzliche Sicherung darauf gestellt!
Zwischen den beiden Containerlagern auf Deck steht ein achtstöckiger Aufbau, in dem sich alles befindet, was die 24 Menschen an Bord (also inkl. ich) brauchen: Die Arbeitsräume, eine Waschküche usw. auf dem Oberdeck = Erdgeschoss, im A-Deck, das Schiffsbüro usw., auf dem B-Deck die Küche (ich weiss, dass man die auf den Schiffen anders nennt) und die Messen (Essräume für Offiziere und Mannschaft), auf dem C-, D- und E-Deck Unterkünfte, auf dem F-Deck die Eigner- und Fahrgast-Kabinen, auf dem G-Deck die Unterkünfte des Kapitäns und der Chef-Chargen und in den Attika-Wohnung ist die Kommandobrücke. Das ganze ist zum Glück mit einem Lift erschlossen und im Allgemeinen sehr wohnlich gestaltet. Die Mannschaftsunterkünfte habe ich nicht gesehen – ich wollte auch nicht fragen – aber ich gehe davon aus, das heute auch da ein gewisser Komfort Standard ist. (PS: es hat sich später im Gespräch so ergeben: jedes Mannschaftsmitglied hat eine eigene Kammer).
Das Schiff ist also ziemlich gross. Die Reederei, mit der ich fahre, NSB, betreibt zurzeit fünf solche Schiffe auf der gleichen Route im Pazifik: Long Beach – Busan – einige Häfen in China – Busan – Long Beach. Die HANJIN BOSTON wird in Long Beach total entladen und wieder beladen – sie bleibt dazu drei Tage im Hafen liegen – und fährt dann wieder nach Busan, die gleiche Route aber nur mit 13 Knoten, um Brennstoff zu sparen. 21 statt 12 Tage ergibt eine Ersparnis von einer halben Million Dollar! Das erstaunlichste aber, das mir der Chief Engineer Zolyniak erzählt hat, der als Quality Controler bei den Hyundai-Werften war, dass dort so ein Schiff in 3 ½ Monaten von Grund auf gebaut wird und das praktisch täglich ein Schiff die Werft verlässt. Das müsste man mal sehen können!
Es könnte einen Sonnenuntergang geben: ich muss auf die Brücke!
11. Tag, Freitag 10. September 2010
Das war gestern nichts mit dem Sonnenuntergang: zu viele Wolken. In dieser Nacht habe ich vom Time-lag zur senilen Bettflucht gewechselt. Ich konnte gestern zwar gut einschlafen, war aber um vier Uhr morgens hellwach. Sonnenaufgang? Zu viele Wolken. Aber der Tag verspricht schön zu werden.
Nach dem Frühstück wird die Maschine gestoppt und einige Manöver „von Hand“ durchgeführt, etwas, das offenbar gemacht und nachgewiesen werden muss, wenn man einen amerikanischen Hafen anläuft.
Ich habe gestern noch den Chief Mate gefragt, wie den das Schiff angehalten werden kann: Also die Maschine rückwärts laufen lassen ist nur im äussersten Notfall möglich. Eine Getriebe oder ein Verstellpropeller sind nicht vorhanden. Rückwärtsfahrt ist also kaum möglich. Gebremst wird durch ein paar schnelle Rudermanöver steuerbord und backbord. Hauptzweck des Schiffes ist zu fahren, nicht zu bremsen! Und das tut es ja auch die meiste Zeit.
Was ich noch nicht gesagt habe: die Brücke ist ein Eldorado für High-Tech-Freaks. Dass die ganze Navigation über GPS läuft und jede mögliche Information, auch die Seekarte und die Info über andere Schiffe, die unterwegs sind, abgerufen werden kann, erleichtert die Arbeit der Schiffsführung natürlich gewaltig. Echt beeindruckend!
Sonnenuntergang: Super! Mit dem grünen Blitz, den man mit dem Fernglas in dem Moment sieht, wenn der letzte Rest der Sonnenscheibe hinter dem Horizont verschwindet, ein Phänomen, auf das mich der Chief Mate aufmerksam gemacht hat.
12. Tag, Samstag 11. September 2010
Endlich wieder einmal annehmbar gut und genug lang geschlafen. Draussen ist es leicht neblig, ruhige See. Das war die letzte Nacht auf See.
So gegen 13:30 wird telefonieren möglich; Land ist aber noch nicht in Sicht. Das ändert so gegen 14:00, obwohl es noch neblig ist. Das Schiff macht langsame Fahrt. Um 15:00 soll der Lotse an Bord kommen. Einlaufen ist um 16:00 vorgesehen.
Einfahrt in den Hafen von Long Beach
16:20: Das Riesending liegt ohne einen Ruck am Kai. Schon eindrücklich, wie so ein Schiff bewegt wird. So, das wär’s dann gewesen, meine Pazifik-Überquerung. Mir hat es gefallen, d.h. es ist nicht ausgeschlossen, dass ich – abgesehen von der Atlantikquerung – wieder einmal so eine Reise mache. Ich hoffe, Ihr konntet das beim Lesen etwas nachvollziehen.
Fazit meiner ersten Seereise
Ja, ich kann eine Seereise sehr empfehlen. Einschränkend gilt, dass ich keine schwierigen Verhältnisse angetroffen habe. Es ist möglich, dass sich diese Einschätzung mit zusätzlicher Erfahrung, die ich vielleicht auf dem Atlantik machen werde, noch ändert. Was man sich bewusst sein muss: Man ist auf dem Schiff eine Fussnote; man wird zwar sehr freundlich wahrgenommen, aber um sich kümmern muss man sich selber. Wer das nicht kann, sollte nicht mit einem Frachtschiff reisen. Wer das kann, findet ideale Bedingungen für sich selber.